Philipp Kutter
Im Schnee
Liebe Leserinnen und Leser
Der erste Schnee des Winters bringt immer eine grosse Aufregung – wobei die Emotionen unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Kinder sind ganz aus dem Häuschen. Sie können es kaum erwarten, mit ihrem Schlitten die weissen Hänge hinunterzufahren und ihren ersten Schneemann zu bauen. Verschwitzt und strahlend kehren sie am Abend heim. Sie können vom Schnee gar nicht genug kriegen. Ganz anders ist die Gemütslage bei den Erwachsenen. Sie versuchen unbeirrt ins Geschäft oder nach Hause zu gelangen. Sie sitzen im Auto, im Bus oder im Zug und ärgern sich. Sie ärgern sich darüber, dass der Zug Verspätung hat. Sie ärgern sich darüber, dass der Zug voll ist. Sie ärgern sich darüber, dass der Bus nicht fährt. Sie ärgern sich darüber, dass die Strassen und die Trottoirs nach einer halben Stunde immer noch nicht schwarz geräumt sind. Immer das Gleiche! Skandal!
Das wiederum ärgert mich. Mich ärgert die Kritik am Winterdienst und die Anspruchshaltung, die dahinter steht. Denn ich weiss, dass alle, die sich am Winterdienst beteiligen, ihr Bestes geben und, wenn es sein muss, von früh bis spät im Einsatz sind. Das sind im Übrigen nicht nur Mitarbeitende der Stadt, sondern auch Gärtner, Bauern und viele mehr. Aber auch sie können nicht zaubern. Wenn es stark schneit, dann brauchen sie nun mal etwas Zeit, bis sie Strassen und Trottoirs geräumt haben.
Zugegeben: auch ich lasse mich ungern vom Schnee aufhalten. Termin ist Termin, Programm ist Programm. Davon weiche ich ungern ab. Das erste Schneegestöber dieses Winters hat aber auch mich, wie so viele, zu einer Programmänderung gezwungen. Nach dem ersten Ärger konnte ich der Situation durchaus Positives abgewinnen. Es ist doch eigentlich heilsam zu erkennen, dass auch heute, trotz aller Technologie, nicht alles planbar oder machbar ist. Selbst künstliche Intelligenz ist bei starkem Schneefall machtlos.
Wenn ich sehe, was Menschen auf unserer Welt alles anrichten, so bin ich dankbar, dass es Mächte und Kräfte gibt, die noch stärker sind als wir. Dafür nehme ich auch gerne die eine oder andere Verspätung in Kauf.
Philipp Kutter
Stadtpräsident