Verschiedene Wädenswiler Betriebe beschäftigen eine oder mehrere Personen mit einer geistigen Behinderung oder einer Lernbehinderung – sowohl Lernende als auch Ausgelernte. Doch es sind viel zu wenige. Grund: Oftmals haben Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber Angst vor dem Mehraufwand oder vor dem Umgang mit der beeinträchtigten Person. Vielfach ist diese aber unbegründet. Dass eine solche Zusammenarbeit für alle Beteiligten eine Bereicherung sein kann, zeigen unsere Beispiele.
Anja Kutter
Die Suche nach einer Lehrstelle und das Finden eines passenden Jobs nach der Ausbildung ist für viele junge Menschen eine grosse Herausforderung. Für Personen mit einer kognitiven Beeinträchtigung ist es noch viel schwieriger.
Davon kann Claudia Marzella Legler ein Lied singen. Sie ist Integrationscoach bei der Stiftung Bühl, welche Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung oder Lernbehinderung ausbildet und sie dabei unterstützt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Claudia Marzella Legler hilft ihnen, eine Stelle zu finden. «Wir suchen jedes Jahr Betriebe, die bereit sind, mit unserer Unterstützung spezielle Arbeitsplätze, sogenannte Integrations- oder Nischenarbeitsplätze, zur Verfügung zu stellen.» Gesucht sind sowohl Lehrstellen als auch Jobs für Menschen, welche eine Lehre in einem der Betriebe der Stiftung Bühl abgeschlossen haben. «Oft müssen die Nischenarbeitsplätze erst geschaffen werden. Davor schrecken viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zurück», sagt sie.
Einige Wädenswiler Firmen aber haben diesen Schritt gewagt – zum Teil schon mehrmals. Wir haben drei von ihnen besucht und einen schönen Einblick in den Alltag mit ihren Mitarbeitenden bekommen.
Konzentriert nimmt Halit Mursaj ein längliche Teigstück nach dem anderen aus dem Behälter, dreht es leicht ein und legt es behutsam auf das Blech neben ihm. Die Mitarbeitenden rund um ihn herum machen das Gleiche. Es läuft speditiv in der Wurzelbrot-Backstube. Trotzdem ist die Stimmung fröhlich und familiär, man arbeitet Hand in Hand. Halit Musaj mittendrin. Wenn man es nicht weiss, würde man nicht bemerken, dass er durch seine Beeinträchtigung einen anderen Weg hinter sich hat als andere, die hier arbeiten.
Seit Mai diesen Jahres ist Halit Mursaj bei Kern & Sammet angestellt. «Er ist unser Sonnenschein», ist man sich im Team einig. Und tatsächlich strahlt der 32-Jährige übers ganze Gesicht, wenn sich jemand mit ihm unterhält. «Ich fühle mich sehr wohl hier.», sagt er. «Die Arbeiten machen mir viel Spass und es sind alle nett zu mir.»
Team muss mitziehen
Halit Mursaj ist nicht die erste Person aus der Stiftung Bühl, die bei Kern & Sammet arbeitet. Und auch nicht die einzige. «Wir haben schon mehrere Menschen mit Beeinträchtigung bei uns beschäftigt», erzählt Geschäftsführerin Sandra Brandt. Oft sei es gut gegangen, manchmal aber auch nicht. Dann wurde das Arbeitsverhältnis aufgelöst. Das sei wie bei allen anderen Angestellten auch. «Halit ist ein richtiger Glücksfall, wir haben ihn alle gern. Und Arbeit haben wir auch genug für ihn.»
Insgesamt beschäftigt Kern & Sammet 110 Mitarbeitende. Der grösste Teil davon in der hauseigenen Bäckerei. «Hier gibt es viele Routine-Tätigkeiten, die sich perfekt für Halit Mursaj eignen. Kartons für die Backwaren zusammenfalten oder die gebackenen Lebensmittel in Schachteln abfüllen, zum Beispiel. Das macht er alles sehr gut.» Wichtig sei, so Sandra Brandt, dass man die Personen, die täglich mit den beeinträchtigten Mitarbeitenden zusammenarbeiten, frühzeitig abhole und sie auch in den Entscheidungsprozess einbeziehe. «Bei uns waren alle offen dafür. Das ist die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Integration.»
Es sei ihr wichtig, auch Menschen mit Beeinträchtigung eine Chance zu geben, sagt Sandra Brandt. Ausserdem spiele die Regionalität eine grosse Rolle. «Wenn wir schon eine Institution wie die Stiftung Bühl bei uns in Wädenswil haben, möchten wir diese auch unterstützen. Oftmals werden wir dadurch mit tollen und treuen Mitarbeitenden belohnt. Und das Schönste ist, zu sehen, wie glücklich diese Menschen bei der Arbeit sind.»
Firmen haben Angst vor der Betreuung
Wieso ist es trotzdem so schwierig, Betriebe zu finden, die sich dieser Aufgabe stellen? Claudia Marzella Legler vom Bühl kennt die Gründe: «Meistens haben die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber einfach Angst – zum Beispiel vor der Betreuung von beeinträchtigten Personen oder vor dem Umgang mit ihnen. Oft höre ich auch, dass das Unternehmen zu klein sei oder die Zeit zu knapp. Dabei wird der zeitliche Aufwand oft überschätzt. Und auch in kleinen Betrieben kann eine Person mit Beeinträchtigung viel beitragen.» Zum Beispiel könne sie in einem Coiffeursalon Haare zusammenwischen, Kaffee bringen oder Wäsche zusammenfalten.
Es muss menschlich stimmen
Claudia Marzella Legler möchte kleine und grössere Unternehmen motivieren, das Experiment zu wagen – auch wenn es am Ende nur zu einem ersten Gespräch oder einem Praktikum kommt. «Es muss danach vor allem menschlich stimmen, damit sich beide Seiten wohl fühlen. Das ist wie bei einem normalen Bewerbungsverfahren. Wenn es nicht passt, passt es nicht. Dann können alle Beteiligten auch Nein sagen. Man ist zu nichts verpflichtet.»
Wenn man sich aber finde, könnten sehr bereichernde und herzerwärmende Geschichten entstehen. Die Fachfrau erzählt von einem Bauernhof, welcher eine junge beeinträchtigte Frau aufgenommen habe. «Zuerst war es für alle eine Umstellung. Nun aber vermisst die Bauernfamilie die junge Frau, wenn sie beim Zmittag einmal nicht dabei ist.»
«Vogesetzte schon wie Gotti oder Götti»
Als Bereicherung empfindet auch die Stutz Medien AG die Zusammenarbeit mit ihrem Mitarbeiter Martin Hitz. Er hat vor gut 6,5 Jahren seine Ausbildung als Praktiker bei der Stiftung Bühl abgeschlossen und arbeitet seither in der Druckerei des Medienhauses im Rütihof. «Früher hatten wir Freelancer, die Fleissarbeiten übernommen haben», sagt Geschäftsleitungsmitglied Beat Schoch. Dazu gehören zum Beispiel das Einpacken und Frankieren von Postsendungen, Falzarbeiten, die nicht maschinell ausführbar sind, oder das Kuvertieren. «Nun übernimmt Martin solche Aufgaben. Er macht das super!»
Martin Hitz sei bei der Stutz Medien AG vollumfänglich integriert und auch bei Teamanlässen immer mit Freude dabei. Seine direkten Vorgesetzten seien inzwischen sogar fast wie Gotti und Götti für ihn. «Natürlich haben wir einen gewissen Betreuungsaufwand. Zum Beispiel seien mehr Kontrollen nötig als bei anderen Angestellten. Oder man muss die Aufgaben öfter erklären. «Es hält sich aber in Grenzen», sagt Beat Schoch. «Wir empfinden die Zusammenarbeit mit Martin als Mehrwert für alle.»
80%-Pensum auf fünf Tage verteilt
Dem 27-jährigen Mann aus Hütten ist seine Arbeit in der Druckerei der Stutz Medien AG sehr wichtig: «Ich mache meine Arbeit gerne und wir haben es alle gut untereinander», sagt er. Martin Hitz arbeitet fünf Tage pro Woche, jedoch in einem 80%-Pensum. «Ich komme am Morgen etwas später und mache am Abend etwas früher Schluss. So ist es perfekt für mich.»
Gleich drei Pesonen in einem Betrieb
Perfekt funktioniert der Alltag auch bei der Brinergarten GmbH. Das Gartenbauunternehmen beschäftigt aktuell zwei junge Männer mit Beeinträchtigung: Timon Lenz absolviert derzeit die berufliche Grundbildungen mit Berufsattest EBA, der 27-jährige Yannick Meyer hat seine Ausbildung bereits abgeschlossen und arbeitet inzwischen als Gartengehilfe bei Brinergarten.
«Inzwischen ist Yannick schon sechs Jahre bei uns. Eigentlich wollte er anfangs nur eine Schnupperlehre machen. Weil es ihm aber so gut gefallen hat, haben wir gemeinsam im Team entschieden, ihm diese Chance zu geben. Seither hat er sich wahnsinnig weiterentwickelt.» Am Anfang sei der Autist sehr unsicher gewesen, habe keinen Augenkontakt aufnehmen können und habe nur Arbeiten mit immer gleichen Abläufen übernehmen können. «Da waren viel Extra-Unterstützung und zahlreiche Gespräche nötig.»
Eine Erfolgsgeschichte rundum
Inzwischen übernehme der junge Mann sogar Verantwortung. Marco Frick hat ihm drei Gärten anvertraut, bei denen er sich selbständig um den Unterhalt kümmert. Das gebe ihm viel Selbstvertrauen. «Yannicks Entwicklung ist absolut fantastisch, ermutigend und eine grosse Freude – eine Erfolgsgeschichte rundum. Diese motiviert uns, unser soziales Engagement weiterzuführen, auch wenn nicht jede Investition fruchtet.»
Er selbst habe lange in der Jugendarbeit mitgewirkt und gesehen, wie viele Jugendliche zwischen Stuhl und Bank fallen, sagt Marco Frick. Es sei ihm deshalb eine Herzensangelegenheit, junge Menschen zu unterstützen. Und mit Roger Eberhard habe er einen Partner an seiner Seite, welcher ebenfalls Erfahrung habe im sozialen Bereich und die Integrationsaufgaben leite.
«Unser Engagement ist nicht nur eine sinnvolle, sondern auch eine sinnstiftende Aufgabe. Glücklicherweise eignet sich unser Beruf super dafür. Er ist so vielseitig, dass wir für jede Person die passenden Arbeiten finden. Dadurch können sie sich entsprechend ihrer Möglichkeiten entwickeln.»
Lohn für Leistung statt für Arbeitszeit
Und wie sieht es mit der finanziellen Belastung der Unternehmen aus, wenn sie eine beeinträchtigte Person einstellen? Claudia Marzella Legler von der Stiftung Bühl erklärt: «Die Betriebe bezahlen den Personen mit Beeinträchtigung einen sogenannten Leistungslohn. Das ist eine Form des Entgelts, bei der nicht die Anwesenheitszeit im Betrieb Grundlage der Vergütung ist, sondern die während der Anwesenheitszeit erbrachte Leistung.»
Diese Gewerbebetriebe beschäftigen Lernende oder ehemalige Lernende der Stiftung Bühl
– Brinergarten GmbH
– Dorfschreinerei Samstagern GmbH
– H. J. Langendorf AG
– Kern & Sammet AG
– Migros Wädenswil und Horgen
– Post Wädenswil
– Seegarage Müller AG
– Stutz Medien AG
– Zogg AG
Sind auch Sie bereit, eine Person mit Beeinträchtigung einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen?
Auf der Website der Stiftung Bühl finden Sie weitere Informationen: www.stiftung-buehl.ch
Gerne stehen Ihnen die Verantwortlichen auch
für ein persönliches Gespräch zur Verfügung.
Ihre Kontaktperson:
Andreas Hulicka
Abteilungsleiter Integration
Tel. 044 783 18 00 (Zentrale)
andreas.hulicka@stiftung-buehl.ch
integration@stiftung-buehl.ch