ALS WÄDENSWIL NOCH EIN INDUSTRIEDORF WAR TEIL 1

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ALS WÄDENSWIL NOCH EIN INDUSTRIEDORF WAR TEIL 1

Heute bezeichnet sich Wädenswil als Bildungsstadt. Anders war dies vor hundert und mehr Jahren. Rauchende Hochkamine zeigten an, dass das im Jahre 1920 rund 9300 Einwohner zählende Dorf Wädenswil über eine bedeutende Industrie verfügte, deren Schwerpunkt auf der Textil- und –Kleiderproduktion lag. Blicken wir zurück!

Prof. Dr. h.c. Peter Ziegler

Tuchfabrik Wädenswil

Die 1818 gegründete Wolltuchfabrik Hauser & Fleckenstein am Reidbach, später Fleckenstein-Schulthess, ging 1899 an Jakob Treichler-Gredig über, welcher im folgenden Jahr die Aktiengesellschaft Tuchfabrik Wädenswil AG gründete. Er dehnte die «obere» Tuchfabrik weiter aus, baute Shedhallen (1906), 1917 ein Bürogebäude und brachte die Firma zu einem Textilunternehmen von gesamtschweizerischer Bedeutung. 1978 wurde die Stoffproduktion eingestellt. 1981 erfolgte die Gründung und Umbenennung der Tuchfabrik Wädenswil AG in TUWAG Immobilien AG. Die Gebäude werden heute weitgehend von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften belegt.

Tuchfabrik Wädenswil AG

Tuchfabrik Pfenninger

Die «untere» Tuchfabrik, die Pfenninger & Cie. AG auf dem Giessenhorn, entwickelte sich aus der 1826 gegründeten Handweberei von Ludwig Rensch zum bedeutenden Unternehmen, das ab 1887 über fünf Generationen von der Familie Pfenninger geleitet wurde. 1906 konnte für die Weberei und Appretur der viergeschossige Satteldachbau seeseits der Bahnlinie bezogen werden, einer der ersten armierten Betonbauten in der Schweiz: das Werk des Architekten Robert Maillart (1872–1940). Der kleiner werdende Weltmarkt und zunehmende Importe aus dem europäischen Markt verschlechterten die Ertragslage der Pfenninger & Cie. AG in den 1960er Jahren. 1972 stellte die Tuchfabrik im Giessen ihre Produktion ein. Mit der Umwandlung zur Immobilienfirma entstand ab 1973 das «Industrie- und Gewerbezentrum Giessen».

Tuchfabrik Pfenninger AG

Seidenweberei Gessner

1841 trat August Gessner als Teilhaber in die 1833 gegründete Seidenfirma Theiler & Steiner ein und führte ab 1849 den Betrieb im Rosenhof mit Heimarbeitern auf eigene Rechnung. Sein Sohn Emil liess 1881 im Neuwiesenquartier einen Fabrikbau erstellen und ging zur mechanische Seidenstoffweberei über. 1898 und 1905 kamen weitere Industriebauten dazu. 1929 beschäftigte die Firma in Wädenswil rund 860 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. 1978 war der Webereineubau bezugsbereit. Dann wirkte sich die Konkurrenz aus Asien immer bedrohender aus. 2016 wurde der Produktionsbetrieb eingestellt. Seither bewirtschaftet die Gessner AG die eigenen Wohn- und Gewerbeliegenschaften.

Seidenweberei Gessner

Mützenfabrik Fürst

1884 machte sich Jacques Fisch-Brupbacher, vorher Reisender und Buchhalter für die Hutfabrik Felber, selbständig und begann im Nebengebäude des Hauses «Holderbaum» an der Eintrachtstrasse mit der fabrikmässigen Herstellung von Mützen. 1890 trat Eduard Fürst in die Mützenfabrik Fisch & Co. ein und übernahm das Geschäft im Jahre 1908. 1911 wurde der erste Fabriktrakt von 1898 um einen Anbau auf der Südostseite erweitert. 1923 liess Fürst die «Büsi»-Mützen patentieren. Später spezialisierte man sich zusätzlich auf die Fabrikation von Uniformmützen. 1959 begann die Herstellung von Sportartikeln; 1986 entwickelte die Fürst AG den weltweit ersten Gleitschirmrucksack und produzierte anschliessend Gleitschirme. 2002 wurden die Gebäude verkauft und 2007 zugunsten von Wohnraum abgebrochen

Mützenfabrik Fürst

Rosshaarspinnerei Schnyder

1826 eröffnete Johann Jakob Schnyder im Erdgeschoss des Hauses «Zum Morgenstern» eine Rosshaarspinnerei. 1868 entstand an der Einsiedlerstrasse 6 ein Fabrikgebäude, das 1929 auf vier Stockwerke erweitert wurde. Der ursprünglichen Fabrikation von gesponnenen Haaren folgte ab den 1950er Jahren die Herstellung Matratzen, Liegemöbeln und Polstermaterialen für Autositze. Nach der Stilllegung des Betriebs bewilligte der Gemeinderat im Jahre 2000 den Gestaltungplan zur Umnutzung des Areals. 2001 entstanden in der ehemaligen «Rosshaari» zwölf grosszügige Lofts und in den unteren zwei Etagen Ateliers und Büroräume.

Pferdehaarspinnerei Schnyder

Hutfabrik Hochstrasser

1848 eröffneten Heinrich und Jean Hochstrasser im Haus Schönenbergstrasse 6 nahe der reformierten Kirche eine Hutmacherei, welche später durch Fabrikbauten vergrössert wurde. Hier fabrizierte und exportierte man als Spezialität Hamburger und Bremer Zimmermannshüte. Die Firma bestand bis 1965. 1967 wurden die Gebäude zwischen Türgass und Blumenstrasse abgebrochen.

Hutfabrik Hochstrasser

Hutfabrik Felber

Karl Felber, einst Reisender bei Hochstrasser, machte sich 1870 selbständig und gründete die Hutfabrik Felber. Er fabrizierte anfänglich in einer Wohnung im Haus «Zur Reblaube» und bezog 1889, als die Räume zu knapp wurden, das dritte Stockwerk des Hauses Gerbe. 1911 war das dreigeschossige neue Fabrikgebäude an der Oberdorfstrasse 16 bezugsbereit. Hier stellte die Felber & Co. AG vor allem Haar- und Wollfilzhüte für Herren, Stoffhüte für den Strand sowie Uniformmützen und historische Kopfbedeckungen her. 1954 wurde der Betrieb stillgelegt.

Prof. Dr. h.c. Peter Ziegler (1937) ist in Wädenswil aufgewachsen und war viele Jahre lang Didaktiklehrer für Geschichte an der Universität Zürich. Danach leitete er den Th. Gut Verlag in Stäfa. Er hat diverse Publikationen zur Orts- und Kulturgeschichte besonders des Zürichseegebiets und des Kantons Zürich veröffentlicht.